Buchbesprechung

Peter van Treeck: KORALLENRIFFE – Lebendige Metropolen im Meer


192 S. mit 329 farbigen Fotos und Grafiken, Bibliografie u. Register, Verlag Theiss Darmstadt, 2017.

Was ist eigentlich ein Riff? – Seeleute achten auf solche Hindernisse, die ihren Schiffen gefährlich werden können. Meeresbiologen kennen verschiedene Organismen, die unter Wasser riesige, feste Strukturen bauen und damit eigene ökologische Bedingungen für typische Lebensgemeinschaften schaffen. Die Biologen benennen diese „Riffe“ je nach ihren wichtigsten Baumeistern. Es sind vor allem die Steinkorallen (Scleractinia), deren Verbreitung und Vorkommen die heutigen Korallenriffe mit ihren Bewohnern aufbauen und prägen. Ein neues Buch stellt diese Riffe vor.

Der Autor präsentiert zunächst die prominenten Riffbauer nebst ihrer Hohltier-Verwandten und erläutert die Grundbegriffe ihrer Morphologie, Biologie, Algensymbiose, Fortpflanzungsstrategien und ökologischen Bedeutung. Korallenriffe mit ihren vielfältigen Bewohnern werden als dynamische Lebensgemeinschaften vorgestellt, deren fortwährende Entwicklung und Veränderung Teil ihrer ökologischen Systemstruktur sind. Der Aufbau der Riffe durch die Korallen und ihre Verfestigung durch Kalkalgen bei gleichzeitig fortwährender Erosion infolge der Aktivität verschiedener Rifforganismen lagerten entlang tropischer Küsten über viele Jahrtausende mächtige Kalkformationen ab. Beispiele für augenfällige, starke Verluste von Riffkörpern stehen dem heute gegenüber. Den Steuerungsfaktoren der Riffentwicklung, der ökologischen Zonierung im Riff und der immensen biologischen Vielfalt – rund ein Viertel aller bekannten Arten von Meeresorganismen leben in Korallenriffen – sind weitere Buchkapitel gewidmet.

Eine Übersicht zur weltweiten Verbreitung von Riffvorkommen schließt die Kaltwasser-Korallenriffe gemäßigter und borealer Breiten nördlich und südlich des Äquators ein. Das Kapitel über Riffentwicklungen im Laufe der Erdgeschichte stellt unterschiedliche fossile Riffstrukturen vor, die von Bakterien, Blaualgen, Schwämmen oder Muscheln gebaut wurden. Geologische Formationen aus Kalkskeletten oder ‑schalen prägen, teils seit Jahrmillionen aus früheren Erdzeitaltern überliefert, die Formen vieler Küsten, aber auch heutiger Landschaften wie der Dolomiten.

Kleine Einschübe referieren flankierende Themen der tropischen Küstenriffe, auch ein historischer Exkurs fehlt nicht: So wird das Rote Meer als Hausriff der deutschen Riffforschung über rund zwei Jahrhunderte resümiert: Von den ersten Reiseberichten und Naturbeschreibungen von C. G. Ehrenberg, E. Rüppel oder C. B. Klunzinger im 19. Jahrhundert über die deutsch-österreichische Xarifa-Kampagne unter Leitung von H. Hass 1957 und die ostdeutschen Acropora-Expeditionen 1976 und 1979 des Stralsunder Meereskundemuseums bis zu den verschiedenen Forschungsprojekten von H. Fricke, D. Schlichter, H. Mergner und H. Schuhmacher mit ihren Mitarbeitern. Weitere Exkurse betreffen fluoreszierende Korallenpigmente, Mangroven und ihre Bedeutung, James Cook und das Great Barrier Reef, Gifte der Kegelschnecken zur Schmerztherapie, die „Wahrheit über Nemo“ sowie Riffschäden durch Schiffshavarien.

Van Treeck, der sich täglich der Horizonterweiterung seiner Schüler widmet, weiß auch komplizierte Sachverhalte verständlich zu erklären: Fachlich fundiert und in sorgfältiger Sprache geschrieben, legt er eine ausführliche Einführung über Korallenriffe für Riffneulinge wie für wissbegierige Kenner vor. Der Band liefert die wichtigen Informationen und erklärt die Zusammenhänge für Interessierte, die sich in die Thematik einlesen wollen. Vor dem Hintergrund jahrelanger Erfahrungen aus der wissenschaftlichen Arbeit, aus dem Bemühen um die Entwicklung von technischen Lösungen für die Rehabilitation zerstörter Riffabschnitte, stellt der Autor dabei zugleich sein Anliegen der Bewahrung dieser einzigartigen Meereslebensräume in den Mittelpunkt des Bandes. Breit gefächerte Grundlagen erklären die aktuellen Probleme der Korallenriffe, regen an zum Nachdenken über Lösungsansätze und zur Einsicht in notwendige Maßnahmen und Beiträge, die jeder dazu liefern kann. Van Treecks Anspruch sind genaue Information und verständliche Erläuterungen der wichtigsten Zusammenhänge für eine breite Bevölkerungsschicht.

Das kurzweilig lesbare und attraktiv ausgestattete Buch ist seinen Preis wert. 192 Seiten prall gefüllt mit Fakten informieren ausführlich über Korallenriffe. Die konkreten Texte in schlüssiger Gedankenführung sind mit instruktiven Fotos oder Grafiken illustriert und veranschaulichen die geschilderten Sachverhalte – mitunter auch in augenzwinkernder Diktion. Die Fülle der vielfach eigenen Fotografien des Autors bereichert mit instruktiven Abbildungstexten die Detailinformationen besonders über viele Rifforganismen. Eine kompetent zusammengestellte Fach-Bibliografie und ein Stichwortregister ergänzen den Begleitapparat des Bandes; eine Schlussredaktion, die verbliebene orthografische Pannen bereinigt, wäre das i-Tüpfelchen gewesen.

Das Buch gehört in die Hände von Riff-Einsteigern und -Enthusiasten: Schüler und Studierende, die eine aktuelle Einführung zum Thema und Hintergründe der aktuellen Umwelt-Berichterstattung suchen, finden genauso gehaltvolle Erklärungen wie Taucher, die ihre Begeisterung in fundiertes Verstehen der eigenen Beobachtungen und Engagement zum Schutz und zur Erhaltung der Korallenriffe umsetzen wollen.

Die Perspektiven der Korallenriffe im 3. Jahrtausend resümiert der Autor im Schlusskapitel sorgenvoll. In Kenntnis der Korallenriffe, wie sie in den letzten drei Jahrzehnten mehr und mehr verschwanden und angesichts der aktuellen Veränderungen, des rapiden Wandels der Ökosysteme vor unseren Augen fällt ein optimistischer Ausblick schwer: „Solange in Bezug auf den Klimawandel nicht entscheidend umgesteuert werden kann, wird es keine Entwarnung an der Rifffront geben“. –

Riffwissenschaftler suchen heute weltweit nach Wegen, wenigstens Reste der Ökosysteme und ihrer Bewohner in die postfossile Epoche zu retten. Derweil bleibt die Hoffnung, dass dies ein Stück weit gelingen möge – und dass die weitere Versauerung der Ozeane infolge der Nutzung fossiler Energiequellen die Kalkbildung für die Korallenskelette nicht endgültig unmöglich macht. Möglichst viele Menschen müssen sich bewusst werden, dass es (auch) in ihren Händen liegt, ob die faszinierenden Korallenriffe der Erde von heute Teil ihrer Zukunft sein werden oder nicht. Die Entscheidungen darüber treffen wir jetzt, in diesen Jahren. Das eindrucksvolle Riffbuch von Peter van Treeck liefert dazu ein breites Fundament sachgerechter Informationen und zeigt Handlungsoptionen auf für einen verantwortlichen Umgang mit den „Lebendige(n) Metropolen im Meer“.

Dr. Götz-Bodo Reinicke, Deutsches Meeresmuseum

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